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Meditation über die Unruhe: Meditation und Psychoanalyse

Aktualisiert: 26. Nov.

Aus meiner Perspektive gibt es eine enge Verbindung zwischen Meditation und einigen Prinzipien der Psychoanalyse.


Meditation ist, egal ob ihnen angeleitete Praktiken lieber sind oder ob Sie sich einfach nur einen Wecker stellen und »sitzen«, eine gute Möglichkeit, um ein wenig mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Dazu ist nicht einmal eine formale Meditationspraxis nötig: Es ist ausreichend, dazusitzen oder zu -liegen und in die Luft zu schauen. Sie machen es richtig, wenn Sie dabei versuchen, präsent zu sein und möglichst wertfrei zu beobachten, was in und außerhalb von Ihnen vor sich geht, welche Gefühle, Gedanken, Empfindungen aufkommen, welche Sinneseindrücke sich in den Vordergrund drängen oder verschwinden.


Wenn Sie das regelmäßig tun, Zeit dafür freiräumen, es aushalten, dass nichts passiert, wird etwas passieren.


So einfach ist das? Ja, so einfach ist das.


Aber Sie können natürlich auch einen MBSR-Kurs absolvieren, auf den Spuren von David Lynch wandern oder einen Guru suchen (oder sich von ihm finden lassen), wenn Ihnen das lieber ist.


Letzten Endes wird jede Meditationspraxis auf den Versuch hinauslaufen, wach und gegenwärtig zu sein.


Das so verstandene Meditieren kann sehr klare Synergieeffekte in Kombination mit einer Psychotherapie hervorbringen, zumal die Fähigkeit dazu, seine Gedanken und Gefühle wahrzunehmen und zu beobachten wesentlich mit den Aussichten darauf verknüpft ist, dass eine Psychotherapie fruchten kann.


Zugleich stellt eine Psychotherapie immer auch den Versuch dar, genau diese Fähigkeiten zu entwickeln, sie anzuregen und zu fördern.


So ermutigt der meditative Zustand dem Psychoanalytiker und Meditationslehrer Mark Epstein zufolge, die ganze Palette ihrer Gefühle, Neurosen, Konflikte und Unzulänglichkeiten zu akzeptieren, ohne sich völlig darin zu verfangen.


Mithilfe der Meditation können wir gezielt erlernen, Gefühle, Körperempfindungen, Sinneseindrücke und Gedanken besser wahr- und anzunehmen. Letztlich geht es dabei darum, Bewusstseinsinhalte wahrzunehmen, ohne von diesen überwältigt zu werden.


Dabei kann man sich das Bewusstsein wie ein halb mit Wasser gefülltes Glas vorstellen. Im Alltag ist es ein wenig so, als würde man ständig den Inhalt einer Farbtube im Wasserglas verrühren, sodass das Wasser diese Farbe annimmt und trüb wird: Das Gemisch unserer Empfindungen, Gedanken, Sinneseindrücke. Wenn die gleiche Farbtube in ein etwas volleres Wasserglas geleert werden würde, wäre der Inhalt immer noch da, aber in verdünnter Form. Zu meditieren bedeutet, etwas mehr Wasser in das Glas zu füllen.


Aus meiner Perspektive hat Meditation deshalb nichts mit irgendwelchen Erleuchtungsphantasien zu tun. Es geht schlicht um eine Arbeit daran, die eigene Lebensrealität so anzunehmen, wie sie ist.

Dies gelingt in erster Linie, indem wir versuchen, unsere Aufmerksamkeit zu kultivieren.

Kann es sein, dass eine so einfache Sache, für die Sie keinen Cent ausgeben müssen, wenn Sie es nicht wollen, irgendetwas bewirkt?


Die Wissenschaft hat darauf eine klare Antwort: Ja, es bringt etwas und die positiven Effekte lassen sich messen, etwa anhand einer verringerten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Die eigentliche Evidenz für Meditation wird aber sicher von jenen Menschen hervorgebracht wird, die diese Praxis leben.


Ich denke, die meisten Menschen meditieren nicht, weil es etwas bringt. Irgendwie ahnen wir, dass es etwas bringen könnte, sich hinzusetzen und zu beobachten, was in uns vor sich geht (ähnliches gilt übrigens für die Ablehnung analytischer bzw. psychodynamischer Therapieformen).


Wie Mark Epstein sagt, gilt zugleich aber:

»[…] inner peace is possible only when one has made peace with one’s own mind, when one’s own inner violence has been dealt with. This requires honesty and an internal ethic that is endlessly challenging. Inner peace comes not from turning off the mind, but from deliberately confronting one’s own innermost prejudices, expectations, habits, and inclinations.«

Oder, mit Antonin Artaud gesprochen:

»Eine Meditation über das Werden ist [...] ihrem Wesen nach eine Meditation über die Unruhe«.

In den tibetischen Tempeln des Himalaya-Gebirges stößt man immer wieder auf schreckenerregende Figuren, sogenannte »wrathful deities«, zornige Gottheiten, tanzende Skelette und wollüstige tantrische Gottheiten, entweder als Malereien an den Tempelwänden oder als Statuen, die bis auf wenige Tage im Jahr mit Tüchern verdeckt bleiben. Sie stehen für Zorn, Angst, Lust, Begehren ... für Gefühle also, denen wir oftmals ausweichen, die sich potentiell bedrohlich oder verstörend anfühlen können.


Es ist kein Zufall, dass die tibetischen Mönche ausgerechnet unter den Augen dieser Ungeheuer zu innerem Frieden finden.

 
 
 

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